Auf der Suche nach Identität
An der riesigen Reiterstatue Alexander des Großen führt kein Weg vorbei. Hier auf dem Plostad Makedonija, dem Platz im Herzen der Stadt, sprühen die Wasserfontänen zu Musik von Wagner. Daneben steht im seltsam neo-klassizistischen Stil ein Gebäude eines Luxus-Hotels. Am Ende des Platzes führt das Wahrzeichen Skopjes, die alte Steinbrücke, über den Fluss Vadar.
Große Regierungsgebäude im Zuckergußstil säumen das Ufer, in zwei seltsam anmutenden Holznachbauten alter Handelsschiffe werden Drinks und mazedonische Küche angeboten. Noch vor ein paar Jahren sah es hier anders aus. Architektur der 60er und 70er Jahre, Jugoslawischer Brutalismus, prägte das Stadtbild. Dann kam der Masterplan für das Projekt Skopje 2014 und viele Bauten wurden mit vorgehängten historisierenden Fassaden versehen.
Das zentrum Skopjes nach dem Umbau in eine Art Disney Land
So wie Donald Trump ungeliebte Nachrichten gerne als Fake News bezeichnet, kann man die meisten Gebäude, die in den letzten Jahren hier entstanden oder kostümiert wurden, als Fake-Architektur bezeichnen. Der Guardian bezeichnete Skopje auch als Europas Kitsch-Hauptstadt. Mit sonderbarem Geschichtsverständnis hat die ehemalige Regierungspartei, die sich elf Jahre an der Macht hielt, in Skopje ihre Träume verwirklicht.
Geschuldet ist dies dem Personenkult von Alexander dem Großen. In Form von Statuen und Plaketten taucht er dort auf, wo es repräsentativ wird. Ob am Flughafen, vor Botschaften, auf Plätzen, an großen Straßen. Es ist der Versuch, die eigene mazedonische Geschichte nach dem Zerfall Jugoslawiens auferstehen zu lassen. Nur wohin dies führen soll, weiß derzeit keiner.
Der alte Bazar und Angela Merkel Baklava
Skopje ist zweigeteilt. Während auf der einen Seite des Flusses Vardar hauptsächlich mazedonisch orthodoxe Bewohner leben, erstrecken sich diesseits die Viertel mit der mehrheitlich albanisch und türkisch stämmigen Bevölkerung. Hier beginnt gleich nach der neu gebauten Scheinwelt der letzten Regierung das Viertel mit dem großen Bazar. Schmuck- und Textilgeschäfte säumen die kleinen Straßen, Handwerker bieten ihre Metallarbeiten an. Es riecht nach Tavče gravče, einem mazedonischen Bohnengericht. An einer Ecke wird Baklava zubereitet. Die türkische Flagge verrät die Abstammung der Betreiberin. In ihrem Schaufenster bewirbt sie ihre Süßspeise mit dem Titel »Angela Merkel Baklava«, darüber hängt das Konterfei des türkischen Präsidenten Erdogan.
Im Frisörladen nebenan wartet der Besitzer und seine zwei jungen Assistenten auf den nächsten Kunden. In Windeseile werden hier im Salon bei Tee die Haare geschnitten, der den charmanten Charme der 50er Jahre versprüht.
Shutka – eine eigene Welt
Während der große Bazar auch Touristen anlockt, verirren sich in das fünf Kilometer weiter entfernte Viertel Shutka nur Wenige. Orthodoxe Mazedonier meiden es eher. Die Mehrzahl der Einwohner hier sind muslimische Roma. Inoffiziell bekannt als die Welthauptstadt der »Gypsy«, ist Shutka Heimat von zwanzigtausend Roma und die wohl größte Roma-Siedlung des Balkans.
Das Viertel wuchs über Jahrzehnte unkontrolliert. Die vielen Zäune unterschiedliche Machart zeugen von der handwerklichen Fertigkeit der Menschen. Haupteinnahmequelle ist ein Wochenmarkt, auf dem zu sehr günstigen Preisen Lebensmittel und Textilien verkauft werden. Das nutzen auch Nicht-Roma. Kinder sitzen auf den ungeteerten und oft schlammigen Plätzen und fragen neugierig Besucher nach ihrer Herkunft. Einige der Kinder, waren mit ihren Familien auch schon in Deutschland, und haben dort Asyl beantragt. Einige sprechen daher auch ein wenig Deutsch. Die Meisten dieser Familien werden aus Deutschland aber wieder abgeschoben, so dass sie wieder hier im Viertel landen.
Tanges Relikte
Im Viertel um den Bahnhof im Osten der Stadt hat sich wenig verändert, meint man. Der von Kenzo Tange konzipierte Bahnhofs-Komplex war Teil des Masterplans, mit dem Skopje nach dem großen Erbeben 1963 wieder aufgebaut werden sollte. Nicht alle Pläne wurde damals genauso umgesetzt. Heute wirkt der Stadtteil wenig belebt. Züge fahren wenige, die Bahnen sind in marodem Zustand. Die Verbindungen nach Griechenland wurden größtenteils eingestellt. Der Politische Konflikt um die Namensgebung Mazedoniens schwelt noch.
Skulpturaler Brutalismus
Wir sind zurück auf der südlichen Seite der Stadt, etwas weiter östlich. Hier taucht eine etwa dreißig Stockwerke hohe Betonikone auf, das Studentenwohnheim Goce Delchev. Mit seiner brutalistischen skulpturalen Architektur überragt der 1973 von Georgi Konstantinovski erbaute Komplex die Umgebung. Im Inneren setzt sich in den engen Gängen die vertikale Musterung der Fassade fort, während in den oberen Stockwerken der Wind durch die Treppengeschosse pfeift. Bei Sonnenuntergang wirkt das Wohnheim wie eine Kulisse aus dem Film Mad Max. Von den oberen Balkonen aus reicht der Blick auf den Berg Vodno, die grüne Lunge der Stadt, bis zu dessen Gipfel es zwei Stunden Fußmarsch sind. Einen Steinwurf weiter erstrecken sich die Schluchten des Matkasees, reich an Klöstern und Heimat der vermutlich tiefsten Süßwasserhähle der Welt. Spätestens hier spürt man wieder die Geschichte Mazedoniens, einem Land, das sich versucht zurechtzufinden in der Gegenwart.
Der Matkasee nahe Skopje dient den Einwohnern als Naherholungsgebiet.
Durchatmen am Wochenende in den Schluchten des Stausees.